Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2008/06 Kaiserschnitt: Trend oder Rettung?

Bonding ist wichtig, doch werden in den ersten Lebensminuten eines Kindes keineswegs unverrückbar die Weichen für den gesamten weiteren Lebensweg gestellt. Eine enge Mutter-Kind-Beziehung ist auch nach einem Kaiserschnitt möglich.

Keine Frage: Eine Geburt ist ein gewaltiges Ereignis und bedeutet einen wichtigen Wendepunkt im Leben aller Betroffenen. Die Geburt markiert den Beginn des Lebens eines neuen Menschen und den Beginn eines neuen Lebens der Eltern beziehungsweise der Familie. Seit einigen Jahren lässt sich allerdings beobachten, dass der Geburt und der unmittelbaren Zeit danach eine extrem hohe, ja sogar eine überhöhte Bedeutung beigemessen wird. Werdende Eltern stehen unter starkem Druck „alles richtig machen zu müssen“ und immer wieder hören und lesen sie, wie wichtig es doch sei, dass das Bonding gut abläuft.

Wenn Bonding zum Schlagwort wird

Ein „gelungenes Bonding“ wird als essentiell angesehen für die Fähigkeit, „Urvertrauen“ zu entwickeln. Es scheint fast so, als würden die ersten Minuten im Leben eines Menschen irreversibel über alle seine Fähigkeiten und Wesensmerkmale, ja seinen gesamten Lebensweg entscheiden. Es scheint, als könnten „Fehler“, die in dieser Zeit gemacht werden, nie wieder gut zu machen sein. „Bonding“ wird auf diese Weise zu einem Schlagwort im wahrsten Sinne des Wortes. Es erschlägt die Eltern mit dem Gewicht, das ihm beigemessen wird, da einem „misslungenes Bonding“ unmittelbar nach der Geburt zugeschrieben wird, dass Mutter und Kind oder Vater und Kind niemals zu einer guten und tragfähigen Beziehung zueinander finden werden, und das Kind als unsicher gebundener Mensch mit einer Vielzahl von kaum oder nicht zu überwindenden Problemen durchs Leben gehen wird.

Welch einer schier unerträglichen Verantwortung sehen sich Mütter und Väter also gegenüber, noch ehe das Kind überhaupt geboren ist? Und wie viel schwerer lastet diese Verantwortung auf einer Frau, die – aus welchem Grund auch immer – ihr Kind nicht sofort nach der Geburt auf ihrem warmen Bauch und in ihren liebevollen Armen begrüssen kann?

Bindung entsteht langsam
Mütter, deren Kinder per Kaiserschnitt geboren wurden, stehen hier unter noch höherem Druck, denn diese Art der Geburt, lässt es oftmals nicht zu, das Kind in ruhiger Atmosphäre zu empfangen, ungestört den ersten Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Bonding ist wichtig, aber Bonding braucht Zeit, mehr als nur die ersten Minuten oder Stunden nach der Geburt. Der Mensch ist anders als andere Säugelebewesen nicht so konstruiert, dass eine unauslöschliche Prägung unmittelbar nach der Geburt erfolgt. Die Bindung zwischen Eltern und Kind entwickelt sich nicht schlagartig. Mütterliche Gefühle stellen sich nicht immer und automatisch auf Knopfdruck nach der Geburt ein, auch dann nicht, wenn die Geburt „optimal verlaufen“ ist. Bindung entsteht langsam und entwickelt sich und wächst über einen langen Zeitraum.

Eine Frau, die per Kaiserschnitt entbindet, ist also keineswegs automatisch eine schlechtere Mutter, die sich auf eine auf ewig gestörte Beziehung zu ihrem Kind einstellen muss. Wenn keine Vollnarkose erforderlich ist und es dem Kind gut geht, können sich Mutter und Kind gleich kennen lernen, engen Hautkontakt zueinander haben und dabei Wärme, Nähe und Blickkontakt erleben. Falls dies nicht möglich ist, kann der Vater seinem Kind Nähe und Wärme geben und es auf dieser Welt begrüssen. Und im Notfall, wenn eine Trennung notwendig sein sollte, lässt sich das Bonding auch später nachholen.

Denise Both